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Donnerstag, 2. Dezember 2010

Kleine Anleitung zum Gesundschrumpfen

Aus dem Artikel-Archiv von
David McLion ©1993




...oder grenzenloses Wachstum leicht gemacht

Anmerkung 2011: Wenn ich bedenke, dass ich diesen Artikel 1993 geschrieben habe - so hat sich in der Zwischenzeit im Verbraucherbewusstsein wie dem Politiker- und Marketinggeschwafel nahezu nichts verändert. Ich zwinge niemanden, diese 9 Seiten zu lesen, möchte diesen sehr langen Text auch weder straffen noch umtexten. Es sind Gedanken von vor 18 Jahren, die nach wie vor nicht aktueller sein könnten. Aus meiner Erfahrung heraus...

Wir tun uns schwer mit dem Wachstum. Allein in der Wortwahl wollen wir vom Wachsen nicht ablassen: Null-Wachstum stellt weiterhin das Wachsen in den Vordergrund. Uns fehlen die Worte, wenn es darum geht, den Zurück-Prozess, das Kleinerwerden, das Gesundschrumpfen positiv darzustellen.

Bäume wachsen aber nun mal nicht in den Himmel. Und es käme keiner auf die Idee, dass sich ein Baum hierfür zu rechtfertigen hätte. Ohne deswegen in der Natur als minderwertig zu gelten, wird der eine Baum etwas grösser, der andere eben etwas kleiner - und fügt sich damit in eine Landschaft ein, in ein Naturbild, welches, wo man hinblickt, von Begrenzung geprägt ist.

Politiker und Marketing-Fachleute sprechen vermehrt jetzt von quantitativem und qualitativem Wachstum. Als wären die fetten Jahre des so dargestellten Wachstums in die Breite des Wohl­stands mit allen seinen Verästelungen und Wucherungen nicht ein besonders delikates Beispiel von Qualität gewesen. Und als hätte man es nötig, die auf die fetten Jahre folgenden mageren Jahre als Qualität hinzustellen, die von keinem so richtig verstanden und erklärt werden kann.

Wie wir's auch anpacken, es fehlt einfach die Vorstellungskraft dessen, wie der Prozess des Werdens und Vergehens in jeder Phase seine Berechtigung hat, seine Schönheiten, seine Natür­lichkeit des Frühlings, Sommers, Herbst und Winters im Leben aller Dinge. Könnte denn etwas neu erblühen, ohne dass es zuvor durch einen Tod gegangen wäre. Und war dieser Tod nicht wieder der unabdingliche Teil einer Wiedergeburt? Ja - wir tun uns in dieser Gesamtschau des Werdens und Vergehens, besonders auch in diesen Überlebens-Dimensionen schwer, gebrauchen die unter­schiedlichsten Religionen dafür, um eine Motivation dafür zu entwickeln, dem Leben wie dem Tod einen Sinn zu geben.

Jeder weiss inzwischen, dass Leben und Tod nicht voneinander zu trennen sind. So ist auch derjenige zum Schrumpfen verurteilt, der am liebsten nur wachsen würde. Aber genauso unbeliebt wie die Gedanken um den Tod sind, sind die Themen, die sich mit dem Schrumpfen auseinander setzen sollten. Solange man gut wächst, verdrängt man das Denken über das Ende dieses Wachs­tums - genauso wie man es verdrängt, sich mit dem Sterben auseinanderzusetzen, solange man gut lebt.

Wir sehen einfach nicht gerne hin, wenn der Tod eines Menschen oder einer Idee uns bevorsteht. Genau das aber sollte man einmal genauer unter die Lupe nehmen. Ganzheitliches Denken, was so gross in Mode gekommen ist, verlangt einfach von uns, auf das Ganze zu sehen. Und das ist immer von Geburt und Tod, von Anfang und Ende und Neuanfang geprägt. Ja, es ist Vorsicht geboten, wenn man von Wiedergeburt spricht, so sehr haben Worte ihre Feinde und Freunde in den verschiedensten Lagern der Meinungsbildung.

Am schwersten wohl tut sich der überzeugte Materialist. Der, der nur anerkennt, was er sieht. Aus seiner Sicht gibt es keine Verbindung zwischen Tod und neuem Leben. Für ihn ist es einfach aus, wenn er oder eine greifbare Sache einmal zum Sterben verurteilt ist. So will er bis zum Ende sein geschaffenes, sichtbar gemachtes Imperium geniessen. Eben, weil es danach für ihn nichts mehr zu geniessen gibt. So wird er auch solange wie möglich den Punkt seines materiellen Wachs­tums hinauszögern - und ist zuguterletzt gar sehr betroffen, wenn er feststellen muss, dass es zu Ende geht.

Ist es am Ende gar ein religiöse Frage, ein Glaubensbekenntnis, wenn die Wissenschaftler uns weiterhin mit diesen Fragen alleine lassen? Gibt es einen Zusammenhang zwischen unseren unausgereiften Wachstums-Vorstellungen und unseren Problemen der Auseinandersetzung mit Gott? Würden wir nicht all diese Fragen beantwortet sehen, wenn wir gläubiger wären und stets ein ganzheitliches Bild der Schöpfung vor uns hätten? Dann müssten wir zunächst eine einheitliche Religion in die Welt setzen, um ein einheitliches Verständnis für das Auf und Ab, das Werden und Vergehen alles Lebendigen zu erzielen. Nein, das könnte noch fatalere Auswirkungen haben. Dann lieber doch zunächst einmal den Versuch unternehmen, mit einfachen Worten und Mitteln Wege aufzutun, die uns für das Wachsen und Schrumpfen und Sterben und Wiedergeboren werden motivierend nachvollziehbar Richtung weisen.

Worte erzeugen in uns Bilder. Und wir handeln eben aufgrund solcher inneren Bilder, quasi stimuliert oder mit Widerwillen in bestimmten Lebenssituationen, je nach dem, wie wir emotional von diesen Bildern angesprochen werden. Wenn das Ende ein garantierter Neuanfang wäre, dann fiele es manchem sicherlich leichter, sich mit diesem "Ende-Anfang" auseinanderzusetzen. Feh­len uns gar die richtigen Worte, um solche Bilder in uns zu erzeugen? Winter-Frühling, Ende-Anfang, Tod-Wiedergeburt... gäbe es solche Wortbilder in unserem Wortschatz, dann hätten wir es mit Sicherheit wesentlich einfacher. Aber es gibt sie nun einmal nicht, die Begriffe, die die Extreme, das Eine oder Andere zu dem "Einen-und-Anderen" machen. Unsere Welt der Betrach­tungen ist geteilt, aufgeteilt in die Gegensätzlichkeiten ohne die so wichtige Klammer der Zusammengehörigkeit.

Obwohl wir wissen, dass die Sonne nicht untergeht, die einen hell sehen während die anderen in Dunkelheit gehüllt sind, meinen wir immer noch, dass es verschiedene Aspekte sind, mit denen wir da tagtäglich rund um den Globus konfrontiert sind. Nur wer sich die Mühe macht, mit etwas Abstand genauer hinzusehen, ist sich dessen bewusst, dass es das Eine ohne das Andere nicht gibt. Licht erzeugt Schatten, Gutes steht im Umfeld des Bösen, Wahrheit existiert nur neben Lüge und Wachsen können wir nur, wenn wir anerkennen, dass zwischendurch ein Sterben sein muss, das es uns ermöglicht, weiterzuwachsen.

Stets im Bewusstsein des Ganzen zu leben, sich nicht in das Eine zu verlieben und das Andere zu meiden, das wäre eine Formel, mit der es sich dauerhaft gut leben liesse. Dann hätten wir keine Angst vor der Dunkelheit, dem Sterben, dem Ende - wir wären sicher, dass sich das Blatt wendet, unser Samen erneut aufgeht, auf einem verbesserten Boden - oder besser, in einem veränderten Umfeld mit neuen Chancen und Aufgaben. Die Wissenschaftler sprechen vom Quantensprung und meinen schlichtweg, dass alles einem Kreislauf unterworfen ist, dessen Neuanfang aber nicht auf der gleichen Ebene stattfindet, sondern eine Stufe höher. Alles soll seinen spiralen Lauf nehmen, sich nach oben schrauben, von einer Ebene in eine neue. Die Wiederverwendung von Rohstoffen ist ja auch mit anderen Voraussetzungen gekoppelt, die Menschheit hat sich zwischenzeitlich weiterentwickelt, der Forscherdrang hat neue Möglichkeiten der Wiederverwertung gefunden, so dass wir nie wieder in die gleichen Fussstapfen treten können, mit denen wir einmal unberührten Boden betreten haben.

Die Mode, die Musik, künstlerische Besonderheiten einer Kulturepoche kommen nie so wie­der, wie wir sie einmal geprägt haben - immer wird es eine neue Variante des Bestehenden sein. Es ist also kein Weg zurück. Das wäre ein falsches Bild. Das würde ja auch wirklich infrage stellen, ob es sich überhaupt gelohnt hat, diesen Weg zu gehen. Nein, es ist immer ein Vorwärts, ein Hochschrauben auf die unterschiedlichsten Ebenen - und in dieser Betrachtung könnte man sich sogar auf ein ewiges Wachstum einigen.

Aber auch das Bild der Spirale hat seine Tücken und vorgefertigten Fehlinterpretationen. Es vermittelt uns die Illusion des steten Aufwärts oder auch Abwärts, also der einseitigen Dimension nach unten oder oben. Ausser wir ergänzten dieses Schraubenbild um eine weitere Dimension - und zwar die der Tiefe. Und schon wird es schwieriger mit der Vermittlung solcher dreidimensionalen Bilder über das Wachsen ohne Ende. Die Dimension der Tiefe, das ist es, was uns als Bild verloren gegangen ist. Die Tiefe, das Innere einer Sache, die Verinnerlichung der Dinge, die energetischen Aspekte - im Gegensatz zu den Äusserlichkeiten, das innere Sein im Vergleich zum äusseren Schein.

Der spirale Weg nach oben geht jeweils durch die Mitte allen SEINS. Materielles Wachstum führt uns stets durch das immaterielle Zentrum, den geistigen Mittelpunkt der Dinge. Das ist die Verbindung, die wir zu finden haben und ohne die es Wachstum ohne Grenzen nicht gibt. Der Weg durch die eigentliche Qualität, den Ursprung, die Verknüpfung materieller Vielfalt, der Punkt oder die Achse, wo noch alles EINS ist. Hier sollen wir uns der eigentlichen Werte neu bewusst werden, hier sollen wir auftanken können, uns neu rüsten für ein neues Leben, für neue Taten, neue Abenteuer. Eine Tankstelle des Lebens, eine Chance, auf neubestelltem Boden als Samen aufzu­gehen, unsere Erfahrungen und Erkenntnisse neu einzubringen und immer wieder neu zu gestalten, ist das nicht wundervoll ! Das ist wie der Ausweg aus einem materiellen Bankrott, ein Lichtblick in der Dunkelheit fehldisponierter, überdimensionierter Baukörper, ein Abstreifen von abgestor­benen Schalen, ein Durchdringen junger, unverbrauchter Triebe.

Massenarbeitslosigkeit ist doch nur ein Zeichen der Zeit dass wir die Technologie überbewertet haben, den Menschen durch die Maschine ersetzen wollten - und nun vor dem Bankrott dieser Entwicklung stehen. Gesättigte Märkte, eine überalterte Gesellschaft, Jugendkriminalität, Suchtprobleme und all diese Zeichen der Zeit wollen uns doch nur bildhaft vor Augen führen, dass wir die natürlichen Wachstumsgesetze nicht beachten. Und nun stehen wir hilflos vor dem Chaos - und keiner weiss, wie er die Schraube zurückdrehen soll.

Es braucht kein Zurück, kein Schrumpfen, kein Abwarten auf bessere Zeiten, die es unter diesen Voraussetzungen auch nicht mehr geben wird. Alles was es braucht, ist zunächst ein anderes Bild dessen, was wir zur Zeit unter Wachstum verstehen. Es braucht den Wegweiser in die Tiefe, in die geistige Dimension, in die Technik des Quantensprungs. Und die muss ein jeder Mensch für sich selber ausmachen. Politiker und Wissenschaftler können uns jetzt nicht mehr helfen. Alles was sie können, ist ein Verzögern dieses Prozesses, aber aufhalten lässt sich der "Massentod" auf diese Weise nicht. Wenn nicht jeder einzelne für sich eine neue Dimension des Bewusstseins sich erarbeitet.

Dieses neue Bewusstsein gründet in der Betrachtung von ZEIT. Ein Phänomen, das unsereWissenschaft bislang nicht verstanden hat. ZEIT ist die wichtigste Qualität allen Werdens – und genau diese haben wir veruntreut. Wer hat heute schon Zeit? Wer sie hat, wird belächelt, denn er signalisiert Nichtstun, Erfolglosigkeit, Langeweile. Je voller unser Terminkalender, desto stolzer sind wir, meinen damit unersetzlich zu sein. Wir hetzen von einem Termin zum anderen, haben kaum mehr Zeit für das Leben an sich, ja können mit diesem Leben an sich auch immer weniger anfangen. Unsere "Freiezeit" wird zwar immer ausgedehnter, doch wissen wir damit nichts vernünf­tiges anzustellen. So füllen wir auch diese Zeit zunehmend mit Aktionen, für die dann ebenfalls immer weniger Zeit bleibt. Wir hetzen von einer Abwechslung in die andere, vergnügen uns hier und dort, hetzen uns im Urlaub ab - und finden einfach immer seltener zu einer inneren Ruhe, zum Mittelpunkt unseres SELBST, zur Dimension unserer geistigen Mitte.

Ein Arbeitsloser ist ganz unglücklich, weil er meint, seine Achtung vor der arbeitenden Gesell­schaft verloren zu haben. Er hat zwar über alle Massen jetzt Zeit, sich neu zu besinnen, neu zu orientieren, neu zu konditionieren, für ein neues, erfüllenderes Arbeitsgebiet. Stattdessen grämt er sich, schämt er sich, betrinkt er sich, vernebelt er seine Chance des gebotenen Neuanfangs. Würde er sich "Arbeitssuchender" nennen, schon hätte er einen neuen Aspekt in seine Eigenbetrachtung eingebracht. Es wäre ein hoffnungsvolles Bild, das er von sich zeichnen würde - und der Funken dieser Selbstbetrachtung und Selbstachtung würde ungeahnte Feuer in seiner Umgebung entfachen können. Er wäre damit befasst, diese wundervolle ZEIT für neue Selbstfindung zu nutzen, um sich mit neuen Qualitätsaspekten in die Gesellschaft einzubringen. ZEIT ist eine wundervolle Chance, sein Innerstes einmal wieder aufzuräumen, neu zu ordnen, neu zu qualifi­zieren, Kraft zu schöpfen für einen Neubeginn.

Wir sind von Kind auf daran gewöhnt, dass jemand sich um uns kümmert. Irgendwer wird schon das Ruder rumreisen, mir zeigen, wo's langgeht - und wenn dieser Weg mir nicht gefällt, dann kann ich ja immer noch protestieren. Wir schimpfen auf die Politik, wir haben erkannt, dass von dort aus kaum mehr Impulse zu erwarten sind, aber wir sehen uns immer noch ausserstande, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Es ist halt auch viel einfacher, einem anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Dann können wir ihn auch dafür verantwortlich machen, wenn's schief gehen sollte. Das Leben als Zuschauer ist eben das, woran wir gewöhnt sind - und so lange wie möglich festhalten wollen. Wir protestieren gegen Atomkraft, aber sind nicht bereit. Energie massvoll einzusetzen - um nicht wieder vom Sparen zu reden. Es müssen unbedingt zwei Autos her, weil die Frau ja mitarbeiten muss - und jeder möglichst flexibel seinen Aufgaben nachzukommen hat. Die Frau aber muss deshalb mitarbeiten, weil man sonst seinen Verpflichtungen nicht nachkommen kann. Sei es für die Raten für's neu erstandene Heim, oder für den Urlaub, auf den man in gewohnter Weise nicht verzichten möchte; natürlich sehr oft auch, weil man sonst einfach seine Wohnungsmiete nicht bezahlen könnte. Oder die Frau arbeitet mit, weil auch ihr Anspruch auf Selbstentfaltung gewachsen ist - und sie allein in der Ausübung der Hausarbeit und Kindererziehung keine Er­füllung mehr sieht. Dadurch hat kaum einer mehr Zeit, weder für die Kinder noch für sich selbst, unsere Aufmerksamkeit ist durchweg auf die äusseren Errungenschaften gerichtet - und im Innern wird es immer leerer.

Immer noch lassen wir uns von der werbetreibenden Verführungs-Industrie vormachen, was wir zu konsumieren haben, welche Idealbilder wir zu akzeptieren haben, wie wir zu leben haben, was schön und was hässlich ist. Die Politiker wollen uns weiss machen, dass sich die Spirale nur weiter drehen kann, wenn jeder seinen Geldbeutel in das Wirtschaftssystem einbringt - und wenn er dennoch anfängt zu sparen, dann nimmt der Staat schnell einem die Lust dazu, weil wir ja so die wirtschaftlichen Ziele nicht erreichen können. Alles wird von aussen reguliert, wie wir uns auch entscheiden, wir verlieren auf der ganzen Ebene. So werden wir getrieben wie eine Herde entmündigter Sklaven - und haben vergessen, dass wir es sind, die bestimmen können, wo's lang geht. Stell Dir vor, es gibt Krieg und keiner geht hin - oder es gibt was zu kaufen und keiner will es haben Oder es gibt Arbeit und keiner will sie verrichten. Nicht immer ist alles, was sich so anbietet, auch auf Dauer imstande, meine wirklichen Bedürfnisse zu befriedigen; meine Bedürfnisse nach Frieden, Wohlstand und Beschäftigung. Da gibt es Leute - und nicht wenige - die kaufen nur, weil es billig ist - obwohl sie alles im Überfluss haben. Die Wohnungen müssen immer grösser werden, weil keiner, wenn er was Neues kauft, im gleichen Moment auch bereit ist, sich von einem Teil seiner Habschaft zu trennen. Immer noch sind die Menschen auf der Stufe der Jäger und Sammler, horten in Kleiderschränken und Kellern Sachen, die sie nur selten, wenn bisweilen überhaupt tragen oder verwenden.

Materieller Wohlstand ist heute selbstverständlich. Je mehr wir um uns herum anhäufen, desto unbeweglicher werden wir. Natürlich wollen wir dieses Hab und Gut auch gegen jedmöglichen Verlust absichern. Da werden Hausrat-Versicherungen abgeschlossen für Dinge und angebliche Werte, die wir schon Jahre nicht mehr in Augenschein genommen haben. Nur wer bisweilen bereit ist, einmal hemmungslos aufzuräumen, wird erkennen, was er im Laufe seines Lebens so gesam­melt hat. Und wofür er Raum beansprucht. Teuren Raum in teuren Wohnungen, für Nippes, für Bücher, die er nie gelesen hat, für Kleidung, an der noch das Preisschild hängt, für Dinge, von denen er sich einfach nicht trennen kann, obwohl er sie nie oder nur selten noch in Augenschein nimmt. Und weil er so stolz und abhängig ist von diesem Besitz, ist er natürlich auch unbeweglich geworden. Er kann nicht einfach einen besseren Job in einer anderen Stadt annehmen, weil er sich ja von seinen liebgewordenen Habseligkeiten nicht trennen möchte. Weil in der anderen Stadt die Mieten höher sind - und der bislang gewohnte Raum nicht aufgegeben wird - oder weil man überhaupt im Laufe seines Sammler-Lebens zu schwerfällig geworden ist. Die Folge sind Beharr­lichkeit, Unbeweglichkeit, bisweilen auch missverstandener Heimatanspruch, was unter Umstän­den nicht mehr und nicht weniger ist als die Unfähigkeit, den materiellen Besitz stets kontrolliert auf dem Nötigsten zu halten - und im ganzen Lande seine Heimat zu sehen.

In Kriegszeiten war unser ganzes Hab und Gut bisweilen in einem einzigen Koffer verstaut  - und die Menschen waren imstande, jederzeit sich den akuten Verhältnissen von jetzt nach eben anzupassen. Und als die Menschen noch von einer fetten Weide abhängig waren, so mussten sie mit den Tieren wandern, um stets wieder auf neuen Weiden Nahrung zu finden. Da half kein Protest, kein Aussitzen einer ungnädigen Situation, kein Streik, kein Murren. Da hat man erkannt, dass ein Futterplatz irgendwann sich erschöpft hat - oder eine Kriegssituation es bedingte, an Orte zu fliehen, wo Sicherheit und Schutz gewährt wurde. Ja, es ist für uns alle heute viel zu selbstver­ständlich geworden, dass wir so weiterleben können, wie wir es gewohnt sind. Dabei müssten wir erst gar keine übermässigen Abstriche machen, wenn wir stets unser Gesamtgewicht im Lot halten würden - das heisst, unseren materiellen Besitz besser kontrollieren würden.

Was brauchen wir denn wirklich zum Leben? Stellen Sie sich einmal vor, sie wollten auswan­dern, in ein Land, in dem Milch und Honig fliesst. Aber Sie hätten dort nur Anspruch auf wenige Quadratmeter Raum. Gehen Sie dann einmal durch Ihre Wohnung, Ihr Haus, Ihren Besitz. Was alles haben Sie sich gekauft, von dem Sie sich Glück versprachen, Abwechslung, Freude ... Hat es auf Dauer das wirklich gebracht? Oder liegt es ungeliebt in irgendeiner Ecke, wie das neue Spielzeug für Ihr Kind, das es unbedingt meinte, haben zu müssen? Machen Sie sich einmal eine Liste der Dinge, die in wenige Koffer passen; eine Art Überlebenskoffer für den Fall, dass es plötzlich brennen würde. Was müsste unbedingt mit - und was ist ersetzbar - und was hat sich überholt oder brauchen Sie gar nicht wirklich. Es ist frappierend, welche Entdeckungen man bei solchen Überlegungen macht. Sie brauchen nicht zu schrumpfen; nur etwas abspecken würde genügen, um wieder leichtfüssig und flexibel - und glücklich - zu werden. Denn weniger kann mehr sein, wenn es sich um die wahren Werte handelt.

Das im Lothalten, Sortieren, Aufräumen und bewusste Auswählen seiner materiellen Güter ist einer der wesentlichen Schritte auf dem Weg nach innen. Amerikanische Unternehmen haben dies sehr oft zum System erhoben, indem sie ihre Manager einmal jährlich umziehen lassen in einen anderen Raum. So ist derjenige gezwungen, regelmässig seine Schreibtischschubladen, Schränke und sonstigen Ablagemöglichkeiten aufzuräumen, neu zu ordnen, Unbenötigtes wegzuwerfen, die Ablagerungen seiner Arbeitswelt zu eliminieren. So kann er von Jahr zu Jahr neu Bilanz ziehen und Wesentliches von Unwesentlichem trennen. Ein Quantensprung in eine neue Arbeitsebene ist vollzogen; Speicherplätze werden für neues wieder freigemacht. Die Verwaltungsgebäude von Unternehmen und Staat sind bisweilen aber das genaue Gegenteil davon. Je mehr Raum man beansprucht, desto mehr Raum wird man nützen, denn leerer Raum hat zur Regel, dass er gefüllt werden will. Ja, Raum ist wie ein Soggebilde: immer wird er sich versuchen zu füllen. Und es wird mit mehr Anstrengung verbunden sein, den Raum wieder auf ein Normalmass zu reduzieren, als umgekehrt. Und je mehr Möglichkeiten wir schaffen, die Speicher-Kapazität zu vergrössern – wie das bei den Computern so der Fall ist - desto mehr werden wir versuchen, da hineinzustopfen. Beim Computer wird sich dies zwar nicht räumlich mehr ausweiten - ganz im Gegenteil - jedoch werden wir vor neue Probleme gestellt, nämlich dass wir versuchen, noch mehr Daten und Dinge verfügbar zu halten. Weil wir meinen, durch die Datenfülle und eine gezielte Auswahl unser Arbeitsleben zu qualifizieren.

Nun verlassen wir uns in einer solchen - vom Computer beherrschten Welt - wiederum nicht auf uns selbst, sondern vielmehr auf die Datenbanken. Das Sammelbedürfnis unserer hochtechnisierten Epoche hat sich nun auf Daten konzentriert. Je mehr Daten wir zur Verfügung haben, desto sicherer meinen wir Entscheidungen treffen zu können. Warum aber hat der Schöpfer uns ein  Gehirn geschenkt, welches alle Voraussetzungen erfüllt, die wir zum Überleben brauchen? Müssen wir unbedingt unseren Schöpfer überflügeln wollen? Heisst das, dass die Schöpfung hätte optimaler eingerichtet werden können? Meinen wir, mit dieser potentiellen Datenfülle unser Leben tatsächlich verbessern zu können? Haben wir aufgrund dessen, dass wir nun über grössere weltweite Netzwerke verfügen, mehr ZEIT gewonnen? Oder ist es nicht umgekehrt, nämlich, dass wir meinen, jetzt erst richtig arbeiten zu können? Dass unsere Ziele sich derart vom Menschsein entfernen, und wir bald vor lauter Daten den Menschen - wie er ist - nicht mehr sehen? Die Wissenschaft hatte ja schon immer die Pflicht zu sezieren, die Forschungsgebiete aufzuteilen, den Menschen, die Natur, den Kosmos in seine Bestandteile zu zerlegen. Nun aber sind diesem Weg erst recht Tür und Tor geöffnet: dank der Möglichkeit unserer Datenverarbeitung. Und wer da nicht mitzieht, passt ohnehin nicht mehr in unsere Welt.

Hier soll kein Aussteigen propagiert werden. Auch diese kleine Anleitung zum Gesundschrumpfen wurde auf dem Computer geschrieben. Alles einfach zu verteufeln, wäre auch kein Ausweg aus unserer Situation. Nein, es geht vielmehr um unsere Abhängigkeiten von Grosstechnologie, Weltwirtschafts-Dynamiken, Vordenkern in Machtpositionen, Presse, Film, Funk und Fernsehen. Wir müssen einfach wieder lernen, selbst zu denken, infrage zu stellen, eigenverantwortlich zu handeln, SELBST zu werden und nicht zu dem, was andere meinen, dass wir SEIN sollten. Es gibt keinen Lebens-STANDARD, nichts, an dem wir uns orientieren sollten, weder am Luxus (und den Schulden) unseres Nachbarn, noch am vom Weltmarkt vermeintlich vorgegebenen Qualitätsstandard, an dem sich beispielsweise ein Familienunternehmen auszu­richten hätte. Grosse Hotels haben ihre Vor- und Nachteile. Kleine familiengeführte Hotels haben ihre Vor- und Nachteile. Nichts zwingt uns, den einen oder anderen Weg zu gehen, wenn wir es nicht so wollen. Lieber klein, aber rein und mein - als gross, unflexibel, unpersönlich und stets auf Umsatzwachstum ausgerichtet. Die kleinen, überschaubaren Einheiten mit Seele, von ausgegli­chenen Menschen liebevoll geführt, die bereit und in der Lage sind, ZEIT einzubringen - das hat am meisten Zukunft.

Die ständig sich wandelnde, dem Leben und der Liebe zugewandte Arbeitseinheit braucht nicht zu schrumpfen.  Sie ist Persönlichkeits-orientiert. Jede noch so kleine Veränderung ist mit einer qualitativen Ausrichtung gekoppelt. Viele, ständige, freizügig dargebotene Quantensprünge werden hier vollzogen. So können erst gar nicht überlebensgefährdende Krebsgeschwüre entstehen, die man dann - wenn es schon fast zu spät ist - mit viel Aufwand und allseits zerstörender Energie herausschneiden müsste. Solange man an diesem gesunden Entfaltungsmuster sich orientiert, werden bisweilen nur marginale Eingriffe nötig sein, die schnell überwunden und zugeheilt sind - und selten grösseren Schaden anrichten. Welche Chance für all diejenigen, die in unserer Zeit heute sich selbständig machen. So entstehen wieder Vielfalt des Angebots, gesunder Wettbewerb, blühende junge, dynamische Unternehmerkraft, Produkte und Leistungen mit persönlich nachzuempfindender Identität.

Jemand kann eigentlich nur werden, der er IST. Herauszufinden, wer man IST, ist im Grunde genommen ganz einfach. Man höre in sich hinein, lerne seine Vorlieben, besonderen Fähigkeiten und Begabungen kennen, nehme ein paar Pflichten in Kauf und entwickle sich konsequent nach diesem Muster. Doch wie ist unser Schulsystem angelegt? Lernen wir hier nicht alle nach dem gleichen Muster. Werden wir hier nicht bereits so intensiv bevormundet, dass es später uns zur Norm wird, diese Verhaltensmuster als gegeben hinzunehmen? Wo bleibt die Anerkennung des Besonderen, Einmaligen, des Individuums, welches einfach nicht austauschbar ist? Wird einem so nicht bereits der Lebens- und Arbeitsfrust aufgestempelt, der später verantwortlich ist für unsere permanent depressive Grundstimmung - und aus der sich dann Jugendliche wie Erwachsene allein durch den Stoff oder Alkohol oder welche Rauschmittel auch immer noch meinen retten zu können? Dieser ständige Blick nach innen, verbunden mit der Frage "hat das, was ich tun soll, wirklich mit mir etwas zu tun - habe speziell ich die Voraussetzungen ins Dasein mitgebracht, ein solches Leben zu führen, solche Aufgaben zu erfüllen - oder könnte dies auch jeder andere, gegebenenfalls noch viel besser. als ich?" - diese innere Blickrichtung ist einfach zwingend, wenn späterhin im Leben die Eigenbestimmung funktionieren soll.

Wenn jeder nur das noch machen wollte, was er für richtig hält, dann könnte dies zu einem schwer regierbaren Staat sich entwickeln. Oder nicht? Lassen sich mit Gott und der Welt im Einklang lebende Bürger schwerer lenken? Sicherlich doch nur dann, wenn man sie mit Gewalt auf Ziele bringen will, die nicht ihren tatsächlichen Bedürfnissen entsprechen. Und wenn diese Bürger gelernt hätten, sich am eigentlichen Leben und der Liebe untereinander selbstverantwortlich zu orientieren - sich massvoll zu verhalten und ihre persönlich gesetzten Grenzen nicht zu über­schreiten, die Bereitschaft mitbrächten, das Leben als einen permanenten Lern- und Optimierungsprozess zu verstehen, dem sie mit äusserster Flexibilität und Lernbereitschaft gegenüberständen - ja, dann könnte man auf die Politik der Vorschriften und Verbote doch fast verzichten.

Das Leben in der Familie ist ähnlichen Problemen ausgesetzt. Der Staat - das bin ich, meint in vielen Fällen noch der Mann - und verhält sich danach. Was er damit produziert, ist entweder eine Partnerin, die ihr SELBST bereit ist aufzugeben oder die irgendwann beginnt zu rebellieren. So haben wir, die Männer, die Emanzipation selbstverschuldet. Ständige Unzufriedenheit, familiärer Kleinkrieg und Trennung sind die Folge. Darunter leiden am meisten wieder unsere Kinder. Und es wachsen Generationen heran, die nach dem gleichen vorgelebten Muster Generationen zeugen werden - ein Teufelskreis ohne Quantensprung. Der Blick nach innen, der ursprünglichen Idee von Mann und Frau, aber sollte uns ganz andere Sinninhalte bewusst machen - über das Zusammenleben zwischen den Geschlechtern. Auch hier ist es unsere Sprache, die leider keine Verbindungen der Gegensätzlichkeiten vorsieht. Entweder man ist Mann - oder man ist Frau. Die uns fehlenden Worte "Mann-Frau" oder "Frau-Mann" machen es uns einfach schwer, ganzheitlich zu sehen. Eine "Mann-Frau" oder ein "Frau-Mann“ beispielsweise könnte sich nicht hinter Privilegien verstecken, die ihr/ihm dann von Geburt an zuständen. Er-sie oder sie-er würde keine absolute Stellung in der Partner­schaft einnehmen wollen - beide Partner wären sich ebenbürtig; kein Krieg, kein Kampf um Vorherrschaft, keine Verteidigung irgendwelcher Domänen. Und dies alles nur, weil uns die Worte und Vorstellungsbilder für ganzheitliche Sichtweise fehlen. Schaffen wir sie doch. Schaf­fen wir den Mann ab - und die Frau ebenfalls. Gut - nicht alles lässt sich auf jeden verteilen, die Sache mit dem Nachwuchszeugen müsste wohl beim alten bleiben.

Ganzheitliche Sicht der Dinge, dafür Bi-Wortschöpfungen finden, Wachstum ins Innere der geistigen Dimension anstreben, Gesundschrumpfen als unabdingbaren Verdichtungsprozess der Wandlung verstehen - diese kleine Sichtempfehlung sollte ausreichen, unsere gemeinsame Zukunft zu meistern. Was eigentlich macht es so schwer, jetzt und hier damit zu beginnen?

David McLion, Mollis, den 18.08.1993